Wasserkraft: Französische Staudämme in unruhigen Gewässern

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Der französische Wasserkraftwerkspark ist der zweitgrößte in Europa und ein wichtiger Aktivposten für die Energiewende des Landes. Die derzeitige regulatorische Unsicherheit hindert die Betreiber jedoch daran, das Potenzial der Dämme voll auszuschöpfen.

Von der Höhe des Kontrollzentrums aus hat man das Gefühl, sich in einem Cockpit zu befinden. Unten eine riesige Wasserfläche von 132 Millionen Kubikmetern, zurückgehalten von 13 Millionen Kubikmetern Felsen und anderen Materialien wie Ton, gestapelt über 630 Meter: der Stausee Grand'Maison, eine Autostunde von Grenoble entfernt. Unter dem unbeweglichen blauen Schleier, eingebettet zwischen zwei Bergen, verbirgt sich ein wahres Ungeheuer, das in den Felsen eingegraben ist.

Auf Anfrage des französischen Stromnetzbetreibers (RTE) kann die EDF in weniger als fünfzehn Minuten 1 800 Megawattstunden Strom erzeugen, was der Leistung von zwei Kernreaktoren entspricht. Bei voller Leistung werden jede Sekunde 217 Kubikmeter Wasser in ein in den Berg gehauenes Rohrleitungsnetz eingespritzt. Nach einer rasanten 7 km langen Fahrt durch das Herz des Massivs stürzt das Wasser 1 km in die Tiefe und setzt 12 Turbinen am Verney-Stausee in Gang.

Aber der Wasserkreislauf von Grand'Maison ist damit noch nicht zu Ende. Dieser Staudamm ist ein Pumpspeicherkraftwerk (STEP). Acht seiner Turbinen sind reversibel. Wenn also überschüssiger Strom im Netz vorhanden ist, werden sie zu Pumpen und heben das Wasser aus dem unteren Stausee in den oberen Stausee. Dies geschieht hauptsächlich nachts und an Wochenenden. Die Anlage arbeitet in einem quasi-geschlossenen Kreislauf und folgt einem wöchentlichen Zyklus.

Rechtliche Zweideutigkeit

Obwohl dieser Staudamm bereits seit 35 Jahren in Betrieb ist, sind er und andere STEP-Anlagen ein Schlüsselelement für die Energiezukunft Frankreichs, denn sie sind derzeit die einzige Möglichkeit, Strom nachhaltig und in großem Maßstab zu speichern. Im Grunde handelt es sich um XXL-Batterien.

Der Ausbau der Kapazitäten in Frankreich ist heute jedoch eine Herausforderung. Es mangelt nicht am Willen, weder seitens der Energieunternehmen noch seitens der Regierung. Dennoch sind dem Sektor durch die Rechtsunsicherheit vor dem Hintergrund eines Missverhältnisses zwischen der französischen Gesetzgebung und den europäischen Vorschriften Hände und Füße gebunden.

Historischer Kontext

Um das zu verstehen, müssen wir in das Jahr 1919 zurückgehen. Die EDF gibt es noch nicht, und nach dem Ersten Weltkrieg ist die Idee eines europäischen Binnenmarktes noch weit entfernt. Frankreich verabschiedet sein erstes Gesetz zur Wasserkraft, das noch heute in Kraft ist. Darin heißt es, dass "niemand über die Energie von Gezeiten, Seen und Flüssen [...] ohne eine Konzession oder eine Genehmigung des Staates verfügen darf".

Von da an werden alle großen Anlagen, die in dem Gebiet florieren, für eine Dauer von etwa achtzig Jahren an Betreiber vergeben. Als die Konzessionen Ende der 1990er Jahre auslaufen, weiß der Gesetzgeber nicht, was er tun soll. So beschließt er, die Staudämme vorübergehend unter eine Regelung mit "gleitenden Fristen" zu stellen, die es ermöglicht, die Konzessionen zu verlängern, ohne eine Frist festzulegen oder sie erneut dem Wettbewerb zu öffnen.

Staatliche Intervention

Dieser Status quo wird jedoch als unvereinbar mit den europäischen Rechtsvorschriften angesehen, die in der Zwischenzeit mit Zustimmung Frankreichs entstanden sind. Die Konzessionsrichtlinie besagt, dass Konzessionen nach Ablauf entweder wieder für den Wettbewerb geöffnet oder in ein quasi-öffentliches Regime überführt werden müssen, das es dem Staat erlaubt, die Verwaltung einer öffentlichen Dienstleistung an ein privates Unternehmen zu delegieren und dabei eine strenge Kontrolle auszuüben. In den Jahren 2015 und 2019 wurde Frankreich von der Europäischen Kommission ermahnt, sich dem europäischen Recht anzupassen.

Die Situation ist besonders problematisch, weil die Verordnung vorsieht, dass selbst bei einer nicht abgeschlossenen Konzession eine bedeutende Investition, die die Leistung eines Staudamms erheblich erhöht, automatisch zu seiner Wiedereröffnung für den Wettbewerb führt. Dies behindert natürlich große Initiativen der Betreiber, die zu sehr um den Verlust von Anlagen besorgt sind.

Heute hat der Staat drei Möglichkeiten. Die erste, die Öffnung für den Wettbewerb, ist im Namen der Energiehoheit Frankreichs von vornherein ausgeschlossen. Sie wirft auch zahlreiche Fragen auf, insbesondere was die Zukunft der weniger rentablen Staudämme betrifft. Für EDF gibt es daher nur die Möglichkeit, entweder das quasi-öffentliche Regime im Rahmen des Konzessionssystems beizubehalten oder zu einem Genehmigungssystem überzugehen.

Die zweite Option, das quasi-öffentliche Regime, wird nicht mehr favorisiert. Das "Hercule-Projekt", ein Umstrukturierungsplan für den Konzern, der 2020 vorgestellt wurde, sorgte für Aufruhr und wurde schließlich aufgegeben. Durch die hermetische Trennung der Wasserkraftanlagen von der EDF-Verwaltung wurde diese Hypothese von den Gewerkschaften und einem Teil der politischen Klasse als erster Schritt zur Demontage angesehen.

Übertragung von Eigentum

Deshalb hat das Energieunternehmen Anfang des Jahres einen neuen Anlauf unternommen und vorgeschlagen, von einem Konzessionssystem zu einem Genehmigungssystem überzugehen. Konkret würde dies bedeuten, dass das Eigentum an den Anlagen auf EDF übertragen wird, wobei der Staat die genauen Bedingungen für den Betrieb und die künftige Nutzung festlegt. "Das Ziel von EDF ist es nicht, einen Überfall zu machen, sondern die Entwicklung zusätzlicher Kapazitäten und STEP-Anlagen zu ermöglichen", sagte Emmanuelle Verger, Direktorin von EDF Hydro, im vergangenen September. "Und all dies würde mit Mechanismen geschehen, die es dem Staat erlauben, die Kontrolle zu behalten", fügte sie hinzu.

Diese Lösung hat nun auch die Gunst des Ministeriums für Energiewende. Bei einer Anhörung vor dem Wirtschaftsausschuss des Senats am 15. November erklärte Ministerin Agnès Pannier-Runacher, dass sie "auf derselben Seite wie EDF" stehe und "eine Mitteilung an die Europäische Kommission geschickt" habe, um dies anzukündigen.

Paris und Brüssel sollten sich in diesem Szenario darauf verständigen, dass die Übertragung von Wasserressourcen vom Staat auf die Betreibergesellschaften nicht als verdeckte staatliche Beihilfe angesehen wird, die nach europäischem Recht illegal wäre. Dies ist angesichts der marktbeherrschenden Stellung von EDF eine besonders schwierige Aufgabe.

Die Konkurrenten von EDF betonen schnell, dass die gewählte Lösung, wie auch immer sie aussehen mag, "fair" sein und für alle Akteure gelten muss. Sie erklären ausdrücklich, dass es "schockierend" wäre, wenn das neue System nur EDF vor einer erneuten Öffnung für den Wettbewerb schützen würde. Die Umstellung auf ein Genehmigungssystem "muss für den gesamten Sektor gelten", versicherte Agnès Pannier-Runacher letzte Woche.

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Für Großanlagen gibt es in Frankreich derzeit neben EDF vor allem zwei weitere Wasserkraftbetreiber: Die Compagnie Nationale du Rhône (CNR) - zur Hälfte (49,97 %) im Besitz von Engie und zu einem Drittel (33,2 %) im Besitz der Caisse des Dépôts - und die Société Hydro-Electrique du Midi (SHEM), die zu 100 % im Besitz von Engie ist.

Für EDF muss schnell eine Lösung gefunden werden, wenn Frankreich seine Energiewendeziele erreichen will. "Für die ersten Projekte, die in Angriff genommen werden könnten, haben wir bereits Machbarkeitsstudien durchgeführt", sagt Emmanuel Verger.

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Ein konkretes Beispiel: In Grand'Maison wurden drei der nicht umkehrbaren Turbinen modernisiert, und die vierte ist für 2025 geplant, was eine Leistungssteigerung von 10 % pro Turbine ermöglicht. Ein bedeutender, aber bescheidener Fortschritt, der nicht dazu führt, dass die Konzession erneut ausgeschrieben wird.

Bei den Pumpspeicherkraftwerken (STEP) stellt sich noch eine weitere Frage: die Rentabilität. Diese Anlagen sind sehr teuer, und ihre Entwicklung kann nur in einem günstigeren Rahmen erfolgen, der die Dienstleistung der Energiespeicherung entschädigt. "Wir haben es mit Demand Response [vorübergehende Stromabschaltung durch eine freiwillige Einrichtung bei Verbrauchsspitzen, Anm. d. Ü.] geschafft", versichert das Ministerium für Energiewende.

Energiewende

Angesichts des bevorstehenden Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Brennstoffe steht für die Energiezukunft des Landes viel auf dem Spiel. Zur Bewältigung von Verbrauchsspitzen sind kontrollierbare Instrumente erforderlich, die bei Bedarf zur Verfügung stehen. Dies kann durch umweltschädliche Wärmekraftwerke - Gas oder Kohle - oder durch Staudämme erreicht werden.

Die Wasserkraft liefert etwas mehr als ein Zehntel der französischen Stromerzeugung. Pumpspeicherkraftwerke (STEP) haben einen zusätzlichen Vorteil: Sie können Produktionsspitzen ausgleichen und so Energieverluste aufgrund mangelnder Nachfrage verhindern.

Ehrgeizige Ziele

Die Regierung will die französischen Wasserkraftkapazitäten bis 2035 um 2,8 Gigawatt erhöhen, davon 1,7 GW bei STEP. Es gibt nur wenige neue Staudammprojekte, da die Kapazitäten, die die Natur in Frankreich bietet, bereits weitgehend ausgeschöpft sind. Ein bemerkenswertes Projekt ist das Vorhaben der CNR am Fluss zwischen Saint-Romain-de-Jalionas (Isère) und Loyettes (Ain), das auf starken lokalen Widerstand stößt.

Luc Rémont, CEO von EDF, hielt es ebenfalls für "möglich, in begrenztem Umfang" und "wünschenswert", neue Strukturen zu bauen. "Wir haben immer Ideen", sagte er und räumte ein, dass dies angesichts der sozialen und ökologischen Folgen "viele Konsultationen auf lokaler Ebene" erfordern würde.

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Es gibt vor allem Möglichkeiten zur Erhöhung der bestehenden Kapazität, die eine Erneuerung der Anlagen und eine Erhöhung der Dämme beinhalten. In Montézic (Aveyron) zum Beispiel plant EDF den Bau einer Erweiterung von 460 MW neben dem bestehenden STEP.

Insgesamt behauptet das Unternehmen, das fast 80 % des Wasserkraftparks verwaltet, in der Lage zu sein, "die installierte Kapazität seines bestehenden Parks innerhalb von zehn Jahren um 2 GW und nach 2035 um mindestens 2 GW zu erhöhen, was einer Steigerung der installierten Kapazität um 15 bis 20 % entspricht".

Klimatische Ungewissheit

Eine große Unbekannte sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserkraftwerke. "Es ist nicht sicher, dass die Rhône im Jahr 2050 im Durchschnitt weniger Wasser führt", erklärt Pierre Guiollot, Direktor für Finanzen und Strategie im Bereich der erneuerbaren Energien bei Engie. "Aber die Verteilung der Mengen über das Jahr wird sich ändern", mit mehr Wasser im Winter und weniger im Sommer, fügt er hinzu. Dies wird sich im Laufe der Zeit unweigerlich auf das Produktionsprofil auswirken, zumal die meisten Anlagen auf dem Fluss ohne größere Speicherkapazitäten "run-of-the-river" arbeiten.

Bei Stauseen mit Wasserreserven lassen sich diese Schwankungen dank der Stauseen etwas leichter bewältigen. Allerdings könnte die Frage der von den Betreibern insbesondere im Sommer abgegebenen Wassermengen bei einer Zunahme und Verschärfung von Dürren zu Spannungen mit den lokalen Behörden und anderen Wirtschaftsakteuren führen. Darüber hinaus sind die Szenarien für die Zeit nach 2050 nach wie vor ungewiss und hängen in hohem Maße von den politischen Maßnahmen ab, die die Regierungen ergreifen oder nicht ergreifen werden.